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„Es muss eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung geben, Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen.“

Elisabeth Kaneza: Erstmal vielen Dank für dein Interesse an einem Interview mit mir. Ein wichtiger Meilenstein für mich ist die Gründung der Kaneza-Foundation. Seit 2016 besteht sie als Organisation und davor haben wir als Initiative gearbeitet. Unsere Schwerpunkte sind Menschenrechte, Chancengleichheit und Diversität. Dementsprechend machen wir einerseits Bildungsarbeit zu diesen Schwerpunkten, aber auch Advocacy- und Empowerment-Projekte mit Communities sowie mit Menschenrechtsaktivist*innen.

Ein weiterer Meilenstein ist für mich meine Forschung zu den Rechten von Schwarzen Menschen in Deutschland. Hier untersuche ich, wie in Deutschland die menschenrechtlichen Verpflichtungen bezüglich der Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung, umgesetzt werden.

 

DevelopMind: Vielleicht kannst du gleich ein bisschen näher darauf eingehen: In welcher Phase deiner Forschung befindest du dich gerade und kannst du einen kleinen Einblick in das Projekt sowie in deine Ergebnisse geben?

Elisabeth Kaneza: Ich bin in der Abschlussphase meiner Promotion. Ich konzentriere mich einerseits auf die Diskriminierung, die bezüglich des Merkmals der „Rasse“ verboten ist. Dieses Merkmal ist sowohl im Völkerrecht als auch im nationalen Recht anerkannt und ist auch in den Diskriminierungsverboten aufgeführt. Zum einen schaue ich mir das Grundgesetz an, wo das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 aufgeführt ist und betrachte, welche Maßnahmen wir in Deutschland haben, um diesem Recht Geltung zu verleihen. Zum anderen schaue ich mir auch an, welche Maßnahmen es gibt, um Gleichberechtigung von Schwarzen Menschen zu fördern.  D.h. es gibt menschenrechtlich einerseits das Prinzip, dass nicht diskriminiert werden darf und gleichzeitig soll Gleichheit gefördert werden. Ich schaue mir an, wie diese beiden Schwerpunkte innerstaatlich umgesetzt werden.

Mein Standpunkt ist, dass wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, es noch nicht so weit geschafft haben, dass wir aus dem Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes ein Gleichberechtigungsgebot für alle Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind, ableiten können. Und ich möchte gerne daran mitwirken, dass sich das positiv verändert.

DevelopMind: Das wäre demnach die politische Ebene. Welche weiteren gesamtgesellschaftlichen Komponenten für Gleichberechtigung kannst du ableiten?

 

Elisabeth Kaneza: Das hat mehrere Ebenen: Einerseits, wie ich gerade gesagt habe, braucht es rechtliche Anforderungen, die es ermöglichen, positive Maßnahmen für betroffene Gruppen zu haben. Andererseits muss dadurch eine Politik der Diversität gestaltet werden können. Da schaue ich mir bspw. an, welche Strukturen existieren, dass z. B. Betroffene von Rassismus und Diskriminierung gestärkt werden können und dass ihnen geholfen werden kann. Wir haben in Deutschland bspw. die Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes und diese leistet eine wichtige Arbeit. Trotzdem muss man dazu sagen, dass sie die Diskriminierung, die von staatlichen Stellen ausgehen kann, aktuell nicht erfassen kann. Das ist aus meiner Sicht eine Lücke, die geschlossen werden kann. Ein weiterer Aspekt betrifft unabhängige Beschwerdestellen. Vieles passiert auf der Ebene der Länder, aber auch da sind die Strukturen in Deutschland noch nicht so weit entwickelt, oder die Informationen sind nicht so weit verstreut, dass Betroffene von Diskriminierung immer wüssten, wohin sie sich wenden können. Dann gibt es auch das Thema des Racial Profiling[1]. Da sind Beschwerdestellen gerade wichtig, weil die Diskriminierung von einem staatlichen Akteur, nämlich von der Polizei, ausgeht. Gerade in diesen Fällen ist es nicht immer einfach für Betroffene, zur Polizei zu gehen und eine Rechtsverletzung anzuzeigen.

 

DevelopMind: Wie kann es deiner Meinung nach gelingen, dass Rassismus zum einen als strukturelles sowie gesamtgesellschaftliches Phänomen diskutiert wird und dass sich zum anderen gleichzeitig jeden*jede Einzelne seine*ihre Verantwortung innerhalb des rassistischen Systems bewusst wird?

 

Elisabeth Kaneza: Ich denke, es ist wichtig, dass wir Rassismus auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene diskutieren und Rassismus auch sichtbar machen. Was ich schwierig finde, ist, wenn es dann vereinfacht verstanden wird. Nämlich, dass es etwas ist, was existiert, aber für die Mehrheit schlecht greifbar ist. Aber die Realität sieht ja ganz anders aus: nämlich, dass Rassismus dadurch entsteht, dass Ideologien vorherrschen und dass diese verfestigt werden. Entweder, weil man sie akzeptiert, oder weil man diese Ideologien auch durch Taten immer wieder reproduziert. Und für die Betroffenen ist das eine Realität. Es ist nichts, was für sie theoretisch passiert. Das ist ganz praktisch. Es mag zwar für Nicht-Betroffene schwierig sein, das nachzuvollziehen, gerade wenn wir auch von Erfahrungen sprechen, die ja anders als vielleicht vor Jahrzehnten, nicht immer so offensichtlich sind. Wir haben heute auch Formen des Rassismus, die nicht sehr offensichtlich sind, wie bspw. Mikroaggressionen, die eine Gewaltdimension haben, die nicht immer unbedingt offensichtlich ist. Aber der Alltagsrassismus findet statt und die alltägliche Diskriminierung findet auch statt, ohne dass es immer eine sichtbare gewaltsame Handlung sein muss. Ich denke, dadurch, dass so viele verschiedene Formen existieren, kann es einfach sein, sich davon selbst freizusprechen, weil man dann vergleicht und vielleicht für sich feststellt, dass man auf der individuellen Ebene keine stark rassistischen Handlungen gegen irgendjemanden ausübt. Was ich in Deutschland auch als eine Herausforderung sehe, ist, dass wir eine Geschichte haben, die exemplarisch dafür ist, was Rassismus ist: nämlich die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus und auch die Erfahrung mit dem Holocaust. Es ist sehr wichtig, dass wir immer auch diese geschichtliche Referenz haben, um zu erkennen, was passieren kann, wenn Rassismus und Diskriminierung gesellschaftlich, strukturell und vor allem auch politisch gefördert werden sowie auch als Politik umgesetzt werden. Gleichzeitig darf der Vergleich mit der Vergangenheit nicht dazu führen, dass der Schluss gezogen wird, dass es heute keine Gruppen mehr gibt, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, weil wir ja diese Vergangenheit überwunden haben.

 

DevelopMind: Was können wir als Individuen und als Gesellschaft tun, um Rassismus zu überwinden und abzuschaffen?

 

Elisabeth Kaneza: Es ist nicht einfach und man muss sich viele Aspekte ansehen. Natürlich ist ein wichtiger Aspekt Bildung: dass wir als Gesellschaft schon sehr früh mit der Bildung ansetzen, damit überhaupt eine Grundlage geschaffen ist für Diversität, Toleranz und Respekt. Vor allem ein Respekt des Einzelnen in der Gesellschaft. Ich denke, das ist sehr wichtig. Auf der anderen Seite braucht es aber auch eine kritische und vor allem selbst-kritische Reflexion von vielen verschiedenen Stellen in der Gesellschaft, vielen Organisationen, Institutionen, um rassistische Strukturen überhaupt sehen zu können. Ich glaube, das ist dort schwierig, wo Diversität heute noch nicht zu sehen ist. In vielen Fällen ist es erst notwendig, dass Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, in bestimmte Räume überhaupt reinkommen und dann werden die Themen Rassismus und Diskriminierung besprochen. Wenn das passiert, ist das sehr positiv. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass das nicht die Grundvoraussetzung sein kann, damit rassistische Strukturen beleuchtet und abgeschafft werden. Es muss – und das ist sehr wichtig – ein Verständnis dafür herrschen, dass die Gesellschaft rassismusfrei und diskriminierungsfrei gestaltet werden muss, und das betrifft alle gesellschaftlichen Räume und Orte.

Das Fehlen von Diversität sollte als Zeichen gesehen werden, dass eine Institution oder eine Organisation ein Problem mit Vielfalt, mit Integration und mit Inklusion haben könnte. Ich meine damit: wenn eine Institution oder eine Organisation keine Vielfalt im Team oder in der Organisation sieht, es nicht so stehen zu lassen, als müsste man erstmal warten, bis sich Menschen aus bestimmten Gruppen bewerben oder aufgenommen werden, sondern auch proaktiv zu sein und sich die Frage zu stellen: Wie können wir selbst diverser werden und was können wir dafür tun?  

DevelopMind: Du hattest schon angesprochen, dass Bildung im Bereich Anti-Diskriminierung wichtig ist, um Veränderungen im Denken voranzutreiben. Welche Möglichkeiten siehst du vor allem in der entwicklungspolitischen und interkulturellen Bildungsarbeit bzw. welche Herausforderungen siehst du da?

 

Elisabeth Kaneza: Ich denke in diesem Bereich geht es vor allem darum, dass eben kein homogenes Bild oder kein homogenes Verständnis existiert, sondern dass es vielfältige Perspektiven gibt. Und es geht darum, diese Perspektiven auch sichtbar zu machen. Deshalb denke ich, das erste was hier wichtig ist, ist, dass nicht über Personen, über Gruppen, über Länder gesprochen wird, sondern dass es immer einen Dialog gibt, dass die Betroffenen und ihre Perspektiven gleichberechtigt miteinbezogen werden und dass auch sie selbst Referierende sind. Ich denke, das ist sehr, sehr wichtig. Denn wir sehen ja oft, dass gerade eine eurozentrische Perspektive deshalb besteht, weil die Narrativen, die lange erzählt wurden, immer wieder reproduziert werden, weil sie irgendwann als Norm gelten und als „die“ Perspektive erzählt werden. Es ist sehr wichtig, die Erfahrung zu machen, dass es andere und gleichberechtigte Perspektiven gibt und dass diese gehört und auch miteingebunden werden. Die Herausforderung ist natürlich, dass man das in einem Kontext machen muss, der nicht gleichberechtigt ist. Wenn ich mir als Beispiel die Entwicklungszusammenarbeit anschaue: Ich sehe viele positive Entwicklungen dahingehend, dass man die Perspektiven zusammenführen möchte, dass man auch eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe schaffen möchte, aber das wird ja oft dadurch erschwert, dass international eben nicht die gleichen Machtverhältnisse vorhanden sind. Also dass jemand aus dem europäischen Raum immer noch Vorteile gegenüber jemanden hat, der im afrikanischen Kontext ist. Und ich glaube, es gibt viele Möglichkeiten, diese Ungleichheit zu überwinden. Ich sehe, dass Digitalisierung immer mehr ein Instrument wird, um Leute zusammenzubringen, ohne, dass die Distanzen eine zu große Barriere darstellen. Aber auch da muss man schauen, dass es Konzepte gibt, die von Anfang an inklusiv sind. Das sind sowohl Chancen, aber wie gesagt auch Herausforderungen.

 

DevelopMind: Wir befinden uns zurzeit in der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2015-2024). Was bedeutet sie für Schwarze Menschen in Deutschland?

 

Elisabeth Kaneza: Die Dekade ist aus meiner Sicht sehr wichtig und ich habe das Glück gehabt, dass ich von Anfang an beteiligt war, als die Dekade international gestartet ist und dann auch in Deutschland durchgeführt wurde. 2015 war ich Fellow des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte und konnte in diesem Kontext viel über die Dekade lernen, die auch 2015 begonnen hat. Nach meinem Fellowship habe ich daran gearbeitet, die Dekade in Deutschland zu fördern. Einerseits, dass sie bekannt wird und andererseits, dass wir uns als Communities auch in der Dekade mit einbringen können, dass wir die Forderungen von Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklung nach vorne bringen können sowie daran mitwirken können, dass auch die Politik diese Dekade durchführt und wahrnimmt. Seitdem ist vieles passiert. Ich würde schon sagen, die Dekade hat auch dazu beigetragen, dass mehr Sichtbarkeit für Schwarze Menschen entstanden ist. Bspw. haben wir seit 2017 einen neuen Aktionsplan gegen Rassismus der Bundesregierung. Dieser Aktionsplan bezieht sich auch auf die UN-Dekade und nimmt diese zum Anlass, um sich mehr der Situation von Schwarzen Menschen anzunehmen und ihre Diskriminierung und den Rassismus in den Blick zu nehmen.

Aber es könnte viel mehr passieren. Wir sind jetzt in der Halbzeit der Dekade und aus meiner Sicht sind wir hier in Deutschland noch langsam. Und es ist so, dass die Dekade auch von der Zivilbevölkerung angestoßen wird. Da wäre es gut, wenn mehr Handlung auch von staatlicher Seite zu sehen wäre. Aber auch hier tut sich was, durch die Forderungen, die gestellt werden. Da ist auch zu sehen, dass auf Bundesebene Reaktionen und Handlungen entstanden sind. Ich denke, wir können insgesamt dennoch mehr machen, vor allem wenn wir in Betracht ziehen, dass die Dekade im Jahr 2024 enden wird.

 

DevelopMind: Wie bringst du deine Ergebnisse bzw. deine Arbeit aus der Forschung mit deiner Arbeit in der Foundation zusammen? Wie sieht dein Alltag als Menschenrechtsaktivistin aus?

 

Elisabeth Kaneza: Ich würde sagen, dass sich meine beiden Arbeitsbereiche gegenseitig bereichern. Die Arbeit, die ich als Menschenrechtlerin mache, kann ich in meine Forschung einbringen. Und umgekehrt genauso. Mein Wissen, das ich mir im Rahmen meiner Forschung aneigne, kann ich nutzen, um meine Arbeit als Menschenrechtlerin voranzubringen, weil es vor allem wichtige Erkenntnisse über die Menschenrechte sind.

Als Menschenrechtsaktivistin bin ich in vielen Bereichen tätig: einerseits in den Tätigkeiten innerhalb der Kaneza Foundation und als deren Vorsitzende. Wir machen viele Projekte, aber genauso beteilige ich mich an Konsultationen von Organisationen und Institutionen. Zudem bin ich auch als Menschenrechtstrainerin aktiv und biete Bildungsangebote sowohl national als auch auf internationaler Ebene an.

 

DevelopMind: Welche Projekte plant ihr aktuell in der Foundation und wie kann man eure Arbeit unterstützen?

 

Elisabeth Kaneza: Wir sind immer froh, wenn sich Menschen für unsere Arbeit interessieren. Auf unsere Website oder auf unseren sozialen Medien kann man schauen, was wir demnächst planen. Wir freuen uns über Kooperationsmöglichkeiten. Man kann unsere Arbeit auch durch eine Spende unterstützen.

 

DevelopMind: Gibt es noch etwas, was du gerne loswerden möchtest?

 

Elisabeth Kaneza: Eine Botschaft, die ich gerne mitteilen möchte, ist, dass es gerade in dem Kontext von Rassismus wichtig ist, dass Betroffene Solidarität erfahren. Das ist von großer Bedeutung, weil es zwar notwendig ist, dass Betroffene von ihren Rassismuserfahrungen berichten. Es muss jedoch verstanden werden, dass die Betroffenen selbst nicht diejenigen sind, die in der Pflicht stehen, Rassismus abzuschaffen bzw. zu überwinden. Sie leisten dazu sicherlich einen wichtigen Beitrag. Es muss eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung geben, Rassismus und Diskriminierung zu bekämpfen. Das ist mir wichtig noch zu sagen, weil ich denke, dass viele sich auch zu Recht fragen, was ihr Beitrag sein kann, wenn sie nicht von Rassismus betroffen sind. Und die erste Sache, die man tun kann, ist, solidarisch zu sein und tatsächlich zu schauen, wie man seine gesellschaftliche Stellung nutzen kann, um Rassismus zu bekämpfen.

 

DevelopMind: Vielen lieben Dank, Elisabeth, für das spannende Gespräch!

 

Mehr über Elisabeth Kaneza, ihre Arbeit und die Foundation:

http://kaneza.org/

https://twitter.com/kaneza_org

https://www.instagram.com/kanezafoundation/

https://www.facebook.com/Kanezainitiative/

 

 

[1] „Racial Profiling“ bezeichnet die Methode, bei der polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen anhand des physischen Erscheinungsbildes, wie etwa Hautfarbe oder Gesichtszüge einer Person durchgeführt werden (vgl. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/themen/rassistische-diskriminierung/racial-profiling)

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Elisabeth Kaneza im Interview über ihre Forschung, ihre Arbeit als Menschenrechtsaktivistin und darüber, was notwendig wäre, um Rassismus und Diskriminierung in Deutschland aktiv zu bekämpfen.

DevelopMind: Liebe Elisabeth, wenn ich mir deinen Lebenslauf ansehe, dann bin ich erstmal überwältigt davon, was du alles schon gemacht hast und was du aktuell machst. Vielleicht möchtest du dich selbst kurz vorstellen, ein bisschen über dich erzählen und was für dich die wichtigsten Meilensteine in deiner Arbeit sind?

Foto: Elisabeth Kaneza

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